In der März Ausgabe des KM Magazins habe ich mich mit drei Thesen für eine überfällige Annäherung an Outreach im Kulturbetrieb befasst. Das Magazin mit interessanten Beiträgen zum “Out of the Box” Denken und Handeln ist unter dem Link im Archiv des Kultur Management Network Magazin frei online verfügbar. Alle die nicht bis Seite 19 scrollen wollen lesen hier weiter.
Raus aus der Kultur-Bubble
Drei Thesen für eine überfällige Annäherung an Outreach im Kulturbetrieb
Ein Beitrag von Ivana Scharf
„Bubble“ nennt sich das Phänomen, das auftritt, wenn man sich in den
sozialen Medien in homogenen Gruppen aufhält: Es entsteht eine Filterblase, in der man nur noch Informationen sieht, die dem eigenen Weltbild, den persönlichen Anschauungen und Vorlieben entsprechen. Was Pariser (2012) für die virtuellen Netzwerke beschrieben hat, ist in klassischen Kulturinstitutionen eigentlich schon immer so. Diese lassen sich als um sich selbst kreisende und in sich geschlossene Räume beschreiben, in denen sich überwiegend sozial und ökonomisch besser gestellte Akademiker*innen begegnen. Die Besucher sind älter als der Bevölkerungsdurchschnitt und vorwiegend weiblich. Viele Häuser haben sich auf den Weg gemacht und stellen fest, dass die Ansprache von Menschen außerhalb der Bubble keine leichte Aufgabe ist. Teilweise besteht große Unwissenheit darüber, wie man die Membran durchlässig machen kann. Einrichtungen, die flexibel programmieren können, haben es leichter. So beispielsweise die Theater, in denen aktuelle gesellschaftliche Themen auf der Bühne verhandelt werden. Allerdings ist damit nicht sichergestellt, dass sich dadurch Besucherstrukturen ändern. Dieser Prozess der Öffnung bedeutet kontinuierliche Arbeit in allen Bereichen der Organisation wie es eindrucksvoll das Maxim Gorki Theater und die Komische Oper Berlin zeigen.
Dieser Prozess der Öffnung bedeutet kontinuierliche Arbeit in allen Bereichen der Organisation.
Wo steht der Kulturwandelprozess in den Museen?
Die Museen drohen aus der Zeit zu fallen: So beschreibt Hanno Rauterberg den radikalen Wandel und die Legitimationskrise der Institutionen in der Digitalmoderne (vgl. Rauterberg 2018: 49). „Wer allerdings verhindern will, einzelne Werke zum Objekt des Machtkampfs zu degradieren, muss seine emanzipatorischen Ansprüche tatsächlich dort anmelden, wo die eigentliche Macht sitzt: in den Gremien der Institution“ (ebd. 67). Die Aushandlungsprozesse finden verstärkt außerhalb des Museums in kaum kontrollierbaren Kommunikationsräumen statt. Das räumlich verteilte oder – wie Maletzke (1963) sagt – „disperse“ Publikum hat sich seit den sozialen Medien radikal verändert. Waren zu Zeiten der unidirektionalen Medien Zeitung, Fernsehen und Radio die Rezipienten kommunikativ voneinander getrennt, haben sie heute die Möglichkeit sich jederzeit – auch anonym – zu Interessensgruppen zu verbinden und sich Gehör zu verschaffen. Wie für alle gesellschaftsrelevanten Institutionen gilt es auch für die Museen, Aushandlungsprozesse neu zu gestalten – intern wie extern. Hier setzt Outreach an.
Wie für alle gesellschaftsrelevanten Institutionen gilt es auch für die Museen, Aushandlungsprozesse neu zu gestalten – intern wie extern.
„Outreach ist ein systematischer Prozess, bei dem die Kulturinstitution strategische Maßnahmen abteilungsübergreifend plant, durchführt und evaluiert, um Gesellschaftsgruppen einzubeziehen, die das Kulturangebot aus unterschiedlichen Gründen nicht eigeninitiativ wahrnehmen. Dieser Prozess bewirkt eine Veränderung in der Haltung der Institution, der Diversität des Personals, ihrer Programmgestaltung und Kommunikation. Ziel ist eine diversere, die Gesellschaft widerspiegelnde Besucherschaft“ (Scharf/Wunderlich/Heisig 2018: 13). Die Tätigkeit von Outreach-Managern und -Kuratoren hat wenig mit der klassischen Vermittlungsarbeit zu tun. Es geht nicht nur darum, etwas außerhalb des Museums anzubieten oder einfach neue Zielgruppen zu erschließen. Outreach wird besonders in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruchsituationen bedeutsam. Historisch lässt sich das im Gefolge der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren, oder im sozioökomischen Wandel im Großbritannien der 1990er Jahre beobachten (vgl. Scharf/Wunderlich/Heisig 2018: 50 ff.). Heute verändert sich die Gesellschaft durch Digitalisierung, Globalisierung und Migration. Während Outreach früher eine Reaktion auf gesetzliche und regulative Anstöße war, kann es heute proaktiv zur gesellschaftpolitischen Legitimierung eingesetzt werden. Outreach wird dann als offener Innovationsprozess verstanden und professionell als strategisches Diversity-Instrument eingesetzt. Weshalb Outreach auch im deutschsprachigen Raum weiter an Relevanz gewinnen wird, verdeutliche ich anhand folgender Thesen.
#Museen werden sich an ihrer Diversität messen lassen
Einigen Häusern wird es große Anstrengungen bereiten, ein diverseres Publikum zu begeistern. Es gibt immer mehr Kulturangebote bei zurückgehendem Interesse. Denn zahlenmäßig vergrößert sich die Besucherschaft nicht. Nachfolgende Generationen werden mit anderen Erwartungen und Kulturtechniken groß. Schulen bereiten nur wenigen Schüler*innen den Zugang zu Kunst und Kultur. Die Zugewanderten
sind mit ihren Interessen überhaupt nicht angesprochen.
Die Institutionen denen es besser gelingt die Diversität in der Gesellschaft widerzuspiegeln werden eine höhere Relevanz haben.
Kulturinstitutionen sollten Diversität ernst nehmen und die eigene Haltung reflektieren. Dies geht über Fragen der Inklusion und Integration hinaus. Die PANIC! Studie aus Großbritannien (Brook/O’Brien/Taylor 2018) zeigt, dass Menschen mit „Working Class“ Hintergrund sowohl in der Besucherschaft als auch im Personal stark unterrepräsentiert sind. Sie werden von den Beschäftigten der Kreativbranche nicht angesprochen, die vielmehr ihre eigenen, sehr spezifischen Geschmacksmuster reproduzieren. Die Besucherschaft ist folglich ein Spiegelbild der Mitarbeiter*innen im Kulturbetrieb, beide zusammen bilden eine „Kultur-Bubble“. Die Institutionen denen es besser gelingt die Diversität in der Gesellschaft widerzuspiegeln werden eine höhere Relevanz haben.
#Museen schaffen mehr Relevanz durch Begegnung
Kulturinstitutionen im Wandel definieren ihre gesellschaftliche Rolle neu, indem sie mit einer konsequenten Outreach-Strategie gewohnte Denk- und Handlungsmuster verlernen und in einem offenen Innovationsprozess direkte Begegnungen mit neuen Bevölkerungsgruppen schaffen. „Open Museum“ lautet der Name der Outreach-Abteilung der neun Glasgower Museen, die seit über 25 Jahren die Verbindung zur Stadtbevölkerung herstellt. Sie unterstützt die Philosophie der Museen, dass die Sammlungen den Menschen in Glasgow gehören: Sammlungsobjekte werden lokalen Gruppen zur Verfügung gestellt, die gemeinsam mit den Outreach-Mitarbeiter*innen Ausstellungen gestalten, die auch in Krankenhäusern, Bibliotheken oder Einkaufszentren zu sehen sind (vgl. Erickson 2015).
Neue Arbeitsweisen, die wechselseitige Begegnungen ermöglichen, sind zu etablieren.
Begegnung darf dabei keine Einbahnstraße bleiben. Noch wirkt Outreach zu wenig in die Museumspraxis hinein. Neue Arbeitsweisen, die wechselseitige Begegnungen ermöglichen, sind zu etablieren. Damit die Stimmen aus der Bevölkerung tatsächlich Eingang ins Museum finden, wurde in Glasgow ein Forum eingerichtet, in dem Bevölkerung, Outreach-Mitarbeiterinnen und Kuratorinnen untereinander, mit der Sammlung und zu aktuellen Fragestellungen in Kontakt treten (ebd.).
#Co-Kreation wird ein wichtiger Bestandteil der Museumsarbeit
Es ist nicht neu, dass Museen partizipativ sammeln oder Besucherinnen in Ausstellungsplanungen einbeziehen. Co-Kreation ist jedoch ein partizipatorischer Prozess, der bereits in der Phase der Konzeption beginnt. Die besondere Herausforderung ist dabei die Einbeziehung der Nichtbesucher. Das Historische Museum Frankfurt sucht daher Wege, um die Interessen und Bedürfnisse der Frankfurter Bürger, die bislang nicht präsent sind, kennenzulernen. Das Museum macht sich im Rahmen des Stadtlabors mit seinen Forschungsfragen auf den Weg und sammelt in wenig repräsentierten Stadtteilen Geschichten, Bilder, Töne und Exponate der Frankfurter Bürger. Einerseits mündet dies in Ausstellungen vor Ort, andererseits wird das, was als Suchbewegung außerhalb begonnen hat, schrittweise in die interne Museumsarbeit integriert (Scharf/ Wunderlich/Heisig 2018: 68 ff.). Direktor Jan Gerchow hat sich auf den offenen Prozess eingelassen: „Das ist ein gewagtes Experiment für eine so träge Einrichtung wie ein Museum. Aber auch Museen müssen sich bewegen, wollen sie im 21. Jahrhundert noch ihr Publikum anziehen und Relevanz behalten“ (Gesser/Mucha 2015: 5). Digital-Outreach am Rijksmuseum ermöglicht die kreative Aneignung und Nutzung durch Remixen und Neukontextualisieren (Scharf/Heisig/ Wunderlich 2018: 95), geht also ganz bewusst auf aktuelle Kulturtechniken ein. Die Sammlungsstücke werden in hochaufgelösten Dateiformaten kostenlos zur Verfügung gestellt und man darf die Bilder nach Belieben bearbeiten und weiterverwenden. Potentielle Nutzerinnen wurden bereits in die Entwicklung des benutzerfreundlichen Onlineangebots einbezogen. Was heute selbstverständlich erscheint, wird im Museumsumfeld kontrovers aufgenommen: Kritikpunkte betreffen den Umgang mit Originalen wie auch die vermeintliche Unbrauchbarkeit der Bilddatenbank für die wissenschaftliche Forschung. Das Publikum nimmt das Angebot dankend an, was am Zuwachs der Benutzerkonten ablesbar ist: Jede*r kann ihr/sein eigenes „Rijksstudio“ anlegen.
Es setzt jedoch eine grundlegende, mitunter auch schmerzliche Veränderung der Organisation voraus, die mit Reflexion und Aushandlungen einhergeht.
Die Outreach-Strategie hängt von den jeweiligen Ausgangsbedingungen des Museums ab. Wie Community-Outreach, Digital-Outreach und andere Formen kombiniert und organisiert werden, hängt vom Vernetzungspotential der Mitarbeitenden in ein nicht akademisches Umfeld ab, das aktiv auszubauen ist. Sie schaffen stimmige mobile Formate und virtuelle Angebote wie co-kreative Produktionen, Pop-ups, Flashmobs, Satellitenmuseen, online Tools oder digitales Storytelling. Outreach funktioniert in jedem Museum. Es setzt jedoch eine grundlegende, mitunter auch schmerzliche Veränderung der Organisation voraus, die mit Reflexion und Aushandlungen einhergeht. Es geht nicht darum, den wissenschaftlichen Anspruch aufzugeben, sondern die Wissenschaftlichkeit zugänglich zu machen. Die Ausstellung muss bereits in der Konzeption vielen Perspektiven geöffnet werden. Dadurch halten neue Themen, Aspekte, Sichtweisen und vor allem eine andere Sprache und Visualisierung Einzug ins Museum. Es entsteht eine selbverständliche sozialräumliche Vernetzung und Nähe zu verschiedenen Lebenswelten. Die Filterblase wird durchlässig.
LITERATUR
Brook, Orian; O‘Brien, David; Taylor, Mark (2018): Panic! Social Class, Tase and Inequalities in the Creative Industries, [online]:
http://createlondon.org/wp-content/uploads/2018/04/Panic-Social-Class-Taste-and-Inequalities-in-the-Creative-Industries1.pdf [14.06.2018]
Gesser, Susanne; Mucha, Franziska (Hrsg.) (2015): Frankfurt-Modell Sommertour 2015. Projektdokumentation historisches museum frankfurt, [online]:
https://historisches-museum-frankfurt.de/sites/default/files/sites/default/files/uploads/broschuere_
sommertour_2015.pdf [21.04.2017]
Maletzke, Gerhard (1963): Psychologie der Massen Kommunikation. Theorie und Systematik: Hamburg, Verlag Hans-Bredow-Institut
Pariser, Eli (2012): The Filter Bubble: What The Internet Is Hiding From You: London, Penguin Books
Rachel Erickson (2015): The open Museum in Glasgow, Scotland [online]: https://incluseum.com/2015/11/16/open-museum-glasgow-scotland/ [14.06.2018]
Rauterberg, Hanno (2018): Wie frei ist die Kunst? Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus: Berlin, Suhrkamp Verlag.
Scharf, Ivana; Wunderlich, Dagmar; Heisig, Julia (2018): Museen und Outreach. Outreach als strategisches Diversity-Instrument: Münster, Waxmann Verlag.